Kritikpunkt 1: Budget
Ein Punkt, der mir seit des Beschlusses des Sozialausschusses und der Durchsicht des Sitzungsprotokolls negativ auffällt und mir auch regelmäßig sauer aufstößt, ist das sehr bescheidene Budget, das für die Erarbeitung der Strategie erübrigt wurde. So wurde für die gesamte Strategieentwicklung lediglich ein Gesamtbudget i.H.v. 200.000 € für drei Jahre veranschlagt. Laut Beschlussprotokoll wurden die Gelder bis zum 30.04.2021 eingeplant - wenn die Erarbeitung bis zum 01.05.2018 beginnt. Ich frage mich ernsthaft, welchen Stellenwert eine Autismus-Strategie bei der Staatsregierung überhaupt hat, wenn nur ein Mindestmaß an Geldern zur Verfügung gestellt wird und diese überdies noch unter den Vorbehalt eines positiven Haushalts gestellt wurde.
Ich vermute, dass das Budget einzig die wissenschaftliche Mitarbeiterin beinhaltet, da alle weiteren, in die Strategieentwicklung involvierten Personen auf ehrenamtlicher Basis arbeiten und auch keine Fahrtkostenerstattung eingeplant wurde (dies soll nun von Seiten der Hochschule München zumindest für die Teilnehmer der Selbsthilfe geändert werden).
Wer dieses niedrige Budget zu verschulden hat, kann ich leider nicht beurteilen. Aus dem, mir vorliegenden Antrag zur Abstimmung über die Autismus-Strategie kann ich leider nicht entnehmen, ob es bereits dort zu diesem Versäumnis gekommen ist oder ob das Budget erst während der Abstimmung festgelegt wurde. Falls jemand über weitere Details verfügt, bin ich darüber sehr dankbar. Sollte es aber tatsächlich so sein, dass von vornherein nur eine solch geringe Summe beantragt wurde, dann muss ich leider sagen, dass die Planungen vorab sehr halbherzig durchgeführt wurden. Denn die meisten Kritikpunkte sind stark mit dem begrenzten finanziellen Spielraum verknüpft, wie Ihr nachfolgend feststellen könnt.
Kritikpunkt 2: keine qualitative Datenerhebung
So fehlt es zum Beispiel an - meiner Meinung nach - einem der wichtigsten Instrumente, die für eine sinnvolle Problemskizze und Ausformulierung von effektiven Vorschlägen vonnöten ist: einer umfassenden Datenerhebung, um die Versorgungssituation und die Bedürfnisse von Autisten quantitativ und qualitativ zu erfassen.
Bis Ende des vergangenen Jahres war unklar, ob nicht doch noch Mittel für eine Online-Befragung (mit zusätzlichen direkten Befragungen non-verbaler Autisten) vom Sozialministerium zur Verfügung gestellt werden. Leider war die bayerische Sozialministerin Frau Schreyer nicht bereit, diesen Wunsch zu erfüllen - die Wichtigkeit einer solchen Maßnahme wurde - wieder einmal - verkannt. Stattdessen wolle sie aber an einem (bislang immer noch in der Planungsphase befindlichen) Online-Forum festhalten, zu welchem ich später noch kommen werde.
Aber zurück zur Farce mit der Umfrage. Ich sprach gerade davon, dass eine mögliche Finanzierung bis Ende des vergangenen Jahres unklar gewesen ist. Aufmerksame Beobachter der Strategieentwicklung werden sicher bemerken, wie spät sich hierzu überhaupt Gedanken gemacht wurde - die Projektgruppen haben nämlich bereits im Oktober / November ihre Arbeit aufgenommen und die ersten Ergebnisse ihrer Ist-Stand-Analyse präsentiert.
Erschwerend kommt hinzu, dass die ersten ausformulierten Vorschläge bereits im Juni 2019 dem Sozialministerium präsentiert werden sollen - eine sinnvolle Verwendung der Daten für die Strategieentwicklung wäre also ohnehin nicht möglich gewesen.
Es dürfte kein Zweifel darüber bestehen, dass eine solche Datenerhebung zwingend notwendig gewesen wäre - allerdings vor Beginn der Projektgruppenarbeit, damit es den Projektgruppen möglich gewesen wäre, mit den erhobenen Daten arbeiten zu können. So hätten die Arbeiten sehr viel zielgerichteter und an tatsächlich vorhandenen Bedarfen orientiert starten können.
Die LMU und das Heureka-Autismusforschungsforum haben sich nach der Absage des Ministeriums der Durchführung einer Online-Umfrage angenommen. Dies wäre ohnehin unser Ziel gewesen, um die generelle Situation von Autisten für die Forschung zu erfassen - es scheitert momentan aber noch an der Bewilligung der Umfrage. Ich hege also keine Hoffnung, dass die Umfrage - sofern sie denn überhaupt durchgeführt wird - einen positiven Einfluss auf die Autismus-Strategie haben wird.
Kritikpunkt 3: straffer Zeitplan trotz -zu- langer Auslegung der Projektlaufzeit
Manche Planungspunkte wirken zugegeben etwas seltsam auf mich. Zum Einen ist eine angesetzte Projektdauer von drei Jahren viel zu lang - wir brauchen die Hilfen jetzt - schließlich bestehen die starken Defizite schon seit Jahrzehnten. Zumal man sich viel stärker an bereits vorhandenen (und erfolgreichen) Autismus-Strategien hätte orientieren können -warum die Grundlagen aufs Neue erfinden? Nun gut - die Projektdauer ist nun einmal so angesetzt - damit müssen wir leben. Warum aber wurde dennoch versäumt zeitintensive und grundlegende Maßnahmen an den Anfang der Entwicklung zu platzieren. Dass dies bei der Umfrage sinnvoll gewesen wäre, haben wir bereits festgestellt, ein weiteres Instrument, welches immer noch nicht umgesetzt wurde ist das von Frau Schreyer gewünschte Forum zur partizipativen Beteiligung eines noch breiter gefächerten Spektrums an Betroffenen und deren Angehörigen. Ganz ehrlich - wenn wir das nicht bald umsetzen, dann können wir es auch gleich lassen. Was brächte der Aufwand der Einrichtung, der Moderation und nicht zuletzt die Mitarbeit jedes einzelnen potentiellen Forenmitglieds, wenn die Ergebnisse aus dem Forum zu spät erzielt werden, um überhaupt in die Erarbeitung einfließen zu können - wie gesagt, Deadline ist der Juni diesen Jahres.
Das Projekt ist auf drei Jahre ausgelegt - eigentlich genug Zeit, um alles unterzubekommen, müsste man meinen. Leider stimmt das nicht so ganz: denn für die Erarbeitung der Vorschläge steht effektiv lediglich ein Zeitraum von einem guten halben Jahr zur Verfügung, die restliche Zeit wurde für die Ausformulierung des Strategieentwurfes und den Abschluss des Projekts angesetzt. Für mich klingt das unterschwellig stark nach "mehr reden als machen". Bitte entschuldigt diese Formulierung, aber es ist durchaus fragwürdig, wenn die Ausformulierung der Punkte länger dauern darf, als die aufwändige Erarbeitung dieser. Insbesondere, wenn dafür essentielle Bestandteile auf der Strecke bleiben müssen.
Vorwurf, dass die Forschung nur ungenügend eingebunden wird
Über diesen Vorwurf bin ich nun des Öfteren gestoßen und kann diesen ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Wie die Projektgruppen der Selbsthilfe auch, hätte die Forschung je einen Delegierten in alle anderen Projektgruppen entsenden können. Die Forschung wäre also nicht nur in ihrer eigenen Projektgruppe, der Lenkungsgruppe und der Versorgungsgrundsätze organisiert gewesen, sondern hätte zudem die Möglichkeit gehabt, aktiv in den Projektgruppen "vor dem Erwebsleben", "im erwerbsfähigen Alter" und "nach dem Erwerbsleben" mitzuwirken. Leider hat sich die Forschung aber gegen eine Entsendung von Delegierten in diese Projektgruppen entschieden. Eine Entscheidung, die ich weder gutheißen, noch nachvollziehen kann. Schließlich schaffen sogar wir Autisten es, sogar jeweils zwei Delegierte in alle Projektgruppen zu entsenden. Genauso, wie wir jeweils einen Abgesandten von den Krankenkassen in allen Projektgruppen brauchen, würden wir die Forschung dort benötigen.
Es besteht also überhaupt keine Grundlage, die eine Unterstellung, die Forschung würde nur unzureichend beteiligt werden, rechtfertigen würde - diese geringe Beteiligung ist nämlich selbstgewählt.
Fazit
Ich möchte niemandem böswillige Absichten unterstellen oder zu Nahe treten. Gerade unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin, Frau Kunerl ist mitnichten zu beneiden - das Arbeitspensum, die einzelnen Projektgruppen zu organisieren ist für eine Person kaum zu stemmen, was natürlich nur in einer generellen Verzögerung des Informationsflusses und der Arbeiten münden kann. Wo wir wieder beim begrenzten Budget wären - eine personelle Aufstockung hätte der Strategieentwicklung sicherlich gut getan.
Sofern es also eine Schuldfrage zu klären gibt, dann ist diese wohl bei der Politik anzusiedeln. Das Projekt wurde nur allzu halbherzig beschlossen und mit Mitteln ausgestattet. Für andere - teils in der Tat unsinnige - Projekte werden solche Summen in einem einzigen Monat verschwendet und wir müssen für jeden zusätzlichen ct kämpfen. Der Stellenwert, den Autisten bei der Politik zu haben scheinen, ist augenscheinlich sehr gering anzusiedeln. Der fahle Beigeschmack von leeren Versprechungen zugunsten der Medienwirkung hält sich leider immer noch hartnäckig - insbesondere, da der Beschluss kurz vor der Landtagswahl stattfand.
Letztendlich ist die Erarbeitung der Autismus-Strategie eine Sammlung von Vorschlägen an die Politik, wie die Versorgungssituation und die Lebensqualtität von Autisten verbessert werden könnte. Die Strategie ist aber keineswegs verpflichtend und letztendlich liegt es an der Staatsregierung, ob unsere Bemühungen Früchte tragen werden oder dazu verdammt sind, auf dem Kompost verfaulen zu müssen.
Natürlich hoffe ich, dass meine Zweifel und Ängste unbegründet sind und unser aller Engagement nicht vergebens war. Ich bin froh, Teil der Strategie-Entwicklung sein zu dürfen und werde weiterhin mein Bestes geben, trotz all des faden Beigeschmacks das Bestmögliche für uns Autisten zu erreichen.
Ich wollte euch mit diesem Beitrag lediglich die Möglichkeit geben, euch ein eigenes Bild über die Strategie zu bilden. Dies geht aber nur mit eingehenden Informationen zu den Problemquellen. Ich möchte nämlich nicht, dass ihr - wie ich - all eure Hoffnung in das Projekt setzt und am Ende vielleicht enttäuscht werdet.
Persönliche Anmerkung von Silke W.B. zu meiner Kritik
[...] Ich schließe mich den in diesem Beitrag geäußerten Kritikpunkten an und möchte hinzufügen, dass ich es schon als paradox empfinde, dass einerseits die partizipative Beteiligung von uns Autisten gewollt ist, auf der anderen Seite jedoch unsere Beteiligung durch organisatorische Probleme erschwert wird. Beispielsweise durch eine fehlende Einladung zum Treffen einer PG und mit dem Informationsmangel einhergehend die Unsicherheit, wo denn nun bitte unsere Delegierten eigentlich genau hin mussten, um teilnehmen zu können.
Mich persönlich stresst es ziemlich, wenn ich zwar weiß, dass ich zu einem bestimmten Ort muss, aber nicht im Vorfeld weiß, in welchem Gebäude dort und in welchem Raum ich mich einfinden soll. Und Stress kostet Energie, die ich nicht in unbegrenzten Mengen zur Verfügung habe und die mir dann bei der Teilnahme an einer mehrstündigen Sitzung schlicht fehlt.
Bei der Erarbeitung einer Autismus-Strategie unter partizipativer Einbindung von Autisten sollten meiner Meinung nach deren Bedürfnisse nach Planungssicherheit bitte berücksichtigt werden. Wenn nämlich die Barrieren zu hoch werden, dann können wir leider nicht teilhaben.
Link zur Website von Silke Wanninger-Bachem
Direktlink zum Facebook-Post von Silke mit Ihren Anmerkungen zu meiner Kritik